Generative KI eröffnet Unternehmen nicht nur im Kundenservice neue Möglichkeiten“

Interview mit Larissa Mikolaschek,
Head of Tech und KI-Expertin

Head of Tech Larissa Mikolaschek erklärt,
worauf Unternehmen beim Einstieg in die Technologie achten müssen
und warum sie auf die KI-Expertise von SEST Digital setzen sollten.

Was genau versteht man unter generativer künstlicher Intelligenz?

Larissa Mikolaschek: Generative KI (im Englischen: Generative Artificial Intelligence, kurz: AI) ist eine Form der künstlichen Intelligenz, die mit einer sehr großen Menge an Texten, Audiodateien, Bildern, Musik oder Videos trainiert wird und auf dieser Basis eigenständig Inhalte generiert. Die Grundlage von generativer KI ist das maschinelle Lernen, insbesondere Deep Learning. Typische Anwendungen für entsprechender KI-Modelle sind Kunst, Design und die Verarbeitung natürlicher Sprache.

Wie profitieren Unternehmen von generativen KI-Lösungen, und welche Probleme kann die Technologie lösen?

Larissa Mikolaschek: Generative KI und Large Language Modelle (LLM) eröffnen Unternehmen völlig neue Möglichkeiten, da die Resultate flexibler und vielfältiger sind als beim herkömmlichen Machine Learning. Im ersten Schritt geht es aber darum, den Datenschatz eines Unternehmens nutzbar zu machen. In vielen Fällen ist das eine ziemliche Herausforderung, weil die Daten auf unterschiedlichen IT-Systemen gespeichert werden, die sich auf mehrere Orte verteilen und unzureichend vernetzt sind. Diese Datensilos müssen auf jeden Fall aufgebrochen werden. Danach lässt sich ein KI-Konzept entwickeln, das den Verantwortlichen schon nach kurzer Zeit einen 360-Grad-Blick auf die eingebundenen Unternehmensteile verschaffen, komplexe Zusammenhänge erkennen und Lösungsvorschläge unterbreiten kann. Unternehmen, die ein gut trainiertes KI-System besitzen, können sich über eine gesteigerte Produktivität und höhere Innovationskraft freuen, aber auch über schnellere und bessere Entscheidungsprozesse bei reduzierten Kosten.

Für welche Branchen und Einsatzszenarien eignen sich Softwarelösungen mit generativer KI am meisten?

Larissa Mikolaschek: Eine KI-optimierte Wissensdatenbank kann Onboarding-Prozesse mit interaktiven Schritt-für-Schritt-Anleitungen unterstützen, aber ebenso automatisierte Auswertungen generieren oder im Support helfen. Ein typisches Anwendungsszenario ist der Kundenservice: Über ein Natural Language Interface lässt sich Wissen auf eine völlig neue Art zugänglich machen. Zum Beispiel bei der Abfrage von Informationen zu bestimmten Produkten oder der Ausführung von Transaktionen. Möglich ist zudem ein automatisierter First Level-Support, der auch häufig gestellte Fragen beantwortet, die vom Trainingsmodell abweichen. Digitale Assistenten mit generativer KI können die Mitarbeiter entlasten und für glückliche Kunden sorgen.

Sind mit dem Einsatz generativer KI-Systeme auch besondere Herausforderungen verbunden?

Larissa Mikolaschek: Im Fokus stehen vor allem die Begriffe Vertrauen, Sicherheit und Qualifizierung. Mit künstlicher Intelligenz werden persönliche und sensible Daten von Mitarbeiter:innen oder Kund:innen verarbeitet. Deshalb müssen Unternehmen darauf achten, dass diese Informationen gesetzeskonform verarbeitet werden. Unverzichtbar ist von Anfang an, klare Guidelines festzulegen und Governance-Strukturen zu etablieren. Diese Aufgaben werden gerne vernachlässigt. Wir arbeiten beispielsweise mit IBM zusammen, weil sie eine eigene Plattform speziell für Governance entwickelt haben

Welche USPs bietet SEST Digital gegenüber Wettbewerbern im Bereich KI-Software?

Larissa Mikolaschek: Wir verbinden ein hohes technisches Fachwissen mit einem tiefen Verständnis für Unternehmen und ihre Strukturen, weil wir selbst KI-Softwareprodukte entwickeln, aber auch Firmen auf ihrem Weg durch die Transformation begleiten. Wir arbeiten mit vorhandenen Lösungen und Schnittstellen, soweit das möglich ist, und finden für unsere Kunden die KI-Infrastruktur, die exakt zu deren Anforderungsprofil passt. Bevor wir mit einer Kombination aus organisatorischen und technischen Maßnahmen durchstarten können, müssen wir die Bedürfnisse des Kunden kennen und seine Prozesse verstehen. Neben der Sicherheit ist die Skalierbarkeit ein essenzieller USP unserer Lösungen. SEST Digital vermarktet keine Software-as-a-Service, von der nur ein Zehntel des Funktionsumfangs benötigt wird. Unsere Lösungen werden genau auf das jeweilige Anwendungsszenario zugeschnitten und wachsen mit dem Kunden mit.

Was kann der digitale Assistent Benno AI von SEST Digital besser als andere KI-Chatbots?

Larissa Mikolaschek: Benno AI ist unser Überbegriff für die Art von digitaler Assistenz, die sich viele Firmen wünschen. Passend zu unserer Philosophie haben wir uns auch hier bewusst gegen einen SaaS-Ansatz entschieden. Benno lässt sich genau an den Anwendungsfall des Kunden anpassen. Mit unserer Expertise für Schnittstellen und APIs binden wir den Chatbot an die vorhandenen IT-Systeme an – und dank des Einsatzes bewährter IBM Komponenten wie Watson Assistant und Watson Discovery bietet Benno AI maximale Sicherheit und Skalierbarkeit.

Welche Rolle spielen dabei State of the Art-Technologien wie Large Language Models und Confidence Scores?

Larissa Mikolaschek: Large Language Models sind eine Ausprägung der generativen KI, die sich auf das Erkennen und Erstellen von Text-Inputs fokussiert. Wir nutzen diese Modelle als Werkzeug, um flexible Ergebnisse in Form von Text oder Sprache zu erhalten. Das bekannteste LLM ist ChatGPT: Der Chatbot von OpenAI hat den Weg für die aktuelle Entwicklung bereitet und dafür gesorgt, dass die KI-Technologie so viel Aufmerksamkeit erfährt. Das Thema Confidence Scores ist in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. LLM und generative KI sind nicht unfehlbar. Die Ergebnisse werden auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten errechnet, wobei dieselbe Frage zu verschiedenen Antworten führen kann. Manchmal werden auch falsche Antworten ausgegeben. Dann sprechen Experten von “Halluzinationen”. Diese Schwäche von Large Language Models lässt sich auch im Unternehmenskontext nicht ganz vermeiden. Man kann aber proaktiv damit umgehen: Die Software wird so gebaut, dass sie mit jedem KI-Output verrät, wie sicher sich das Modell ist. Dazu dienen die Confidence Scores.

Wie sieht die Anbindung von Benno AI an IBM watsonx aus, und welche Vorteile bietet die KI-Plattform von IBM im Vergleich zu ChatGPT & Co.?

Larissa Mikolaschek: IBM watsonx ist im Gegensatz zu Anwendungen wie ChatGPT eine vollständige KI-Plattform. Diese ermöglicht uns, für jeden Anwendungsfall verschiedene LLMs, darunter auch Open Source-Varianten, auszuwählen, finezutunen und exakt so zu trainieren, wie es für den Kunden passt. Ein solches Modell bildet dann für Benno AI eine solide Datenbasis, um Antworten zu generieren und über diverse Kanäle auszuspielen. watsonx ermöglicht aber nicht nur, KI-Modelle anzupassen, sondern bietet auch umfangreiche Möglichkeiten der Datenaufbereitung und der Governance – vereint auf einer Plattform.

Laut einer Bitkom-Studie setzen aktuell nur zwei Prozent der Unternehmen in Deutschland generative KI ein, und 25 Prozent haben 2023 in die KI-Technologie investiert. Welche Vorbehalte gegenüber KI-Lösungen sind besonders verbreitet, und wie lassen sich diese entkräften?

Larissa Mikolaschek: Künstliche Intelligenz wird von vielen Menschen immer noch als Bedrohung wahrgenommen, weil damit häufig Diskussionen über den Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sind. Dabei liegt der Mehrwert von KI-Lösungen darin, repetitive Aufgaben im Unternehmen zu automatisieren, sodass sich die Mitarbeiter:innen auf interessantere Aufgaben konzentrieren können. Das bringt nicht nur eine höhere Produktivität, sondern auch mehr Spaß an der Arbeit. Diskussionen gibt es auch rund um die Verlässlichkeit generativer KI. Und ganz ehrlich: Man wird kein Large Language Model trainieren können, das zu 100 Prozent richtige Antworten gibt. Vergleichbar ist das mit einem Computer, der immer mal abstürzen kann. Wer KI-Lösungen mit diesem Bewusstsein einsetzt und von Anfang an Risk Assessment und Governance in die Prozesse integriert, ist für solche Fälle gut gerüstet.

Welche gesetzlichen Vorgaben zu den Themen Datensicherheit und Ethik müssen Unternehmensentscheider beim Einsatz von digitalen Servicemitarbeitern wie Benno AI beachten?

Larissa Mikolaschek: Was den Datenschutz betrifft, macht die DSGVO verbindliche Vorgaben: Bevor der Chatbot aktiv werden kann, müssen die Datenschutzrichtlinien kommuniziert werden, und es muss die eindeutige Zustimmung des Nutzers bzw. der Nutzerin vorliegen. Wer Daten für einen Newsletter sammelt, darf sie nur für diesen Zweck nutzen. Auch Chatbot-Logs dürfen nicht ohne ausdrückliche Einwilligung gespeichert werden, weil sie persönliche Daten enthalten können. Zusätzlich müssen Kund:innen jederzeit die Möglichkeit haben, ihre Daten über den digitalen Assistenten einzusehen und zu löschen. Und ganz allgemein gilt: Bei wichtigen Fragen oder Entscheidungen muss der Mensch die Kontrolle übernehmen.

Welche gesetzlichen Vorgaben sind für Unternehmen zu erwarten, wenn der EU AI Act voraussichtlich 2026 in Kraft treten wird?

Larissa Mikolaschek: Der AI Act der Europäischen Union soll das weltweit umfassendste Regelwerk für künstliche Intelligenz werden. Bei den laufenden Diskussionen um die Inhalte zeichnet sich ab, dass Unternehmen, die beim KI-Einsatz von Beginn an auf die strikte Einhaltung der DSGVO achten, gut auf das EU-Regelwerk vorbereitet sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die frühzeitige Implementierung von Governance-Strukturen: Welche Daten werden ausgewertet, wie erfolgt deren Nutzung, und wofür werden sie verwendet?

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Warum ist es wichtig, mehr Frauen in die Entwicklung der KI-Technologie einzubinden?

Larissa Mikolaschek: Die Antworten eines KI-Systems können nur so gut sein wie die Informationen, auf denen sie basieren. Ungleichgewichte in den Daten werden sich auch in den Ergebnissen spiegeln. Eine Technologie, die bisher hauptsächlich von Männern entwickelt wird, arbeitet auch vorwiegend mit Datensätzen, die von Männern kuratiert werden. Die Medizin zeigt uns die möglichen Folgen dieser Unausgewogenheit: Die Dosierung mancher Medikamente ist bis heute auf Männer abgestimmt. Für Frauen, die sich an der Einnahmeempfehlung orientieren, können sie sogar schädlich sein. Ein weiteres Beispiel sind KI-Tools, die so programmiert werden, dass sie Männer bei der Vergabe von Jobs oder Krediten bevorzugen. Natürlich müssen wir uns als Frauen aktiv einbringen. Aber wir brauchen auch ein gesellschaftliches Umfeld, in dem es für uns total normal ist, in der IT-Entwicklung Erfolg zu haben. Wir wollen keine Exotinnen mehr sein!